Dr. Hille Heinemann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
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Oktober 2025
Interview: „Vesting-Klauseln – Warum Gründer ihre Anteile verlieren können“
Frage: Herr Heinemann, stellen wir uns vor: Ich gründe ein Start-up, entwickle die Software, hole Investoren an Bord – und plötzlich werde ich freigestellt. Kurze Zeit später heißt es: Meine Anteile sind weg. Kann das wirklich passieren?
Heinemann: Ja, genau so einen Fall hatte das Kammergericht Berlin kürzlich zu entscheiden. Ein Mitgründer wollte verhindern, dass seine 800 Geschäftsanteile gelöscht werden, nachdem er freigestellt wurde. Doch das Gericht sagte: Seine Klage ist unbegründet – er hat seine Gesellschafterstellung wirksam verloren.
Frage: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Der Mann war doch Gründer!
Heinemann: Der entscheidende Punkt war eine sogenannte Vesting-Regelung, die im Shareholders’ Agreement festgelegt war. Das ist ein Vertrag zwischen Gründern und Investoren. Darin stand: Die Gründer „verdienen“ sich ihre Anteile über einen bestimmten Zeitraum. Wer vorher ausscheidet, verliert ganz oder teilweise seine Beteiligung.
Frage: Das klingt, ehrlich gesagt, ziemlich hart. Ist so etwas überhaupt rechtens?
Heinemann: Das war auch die Argumentation des Klägers. Er meinte, die Klausel sei sittenwidrig, weil sie eine Art „Hinauskündigung“ ohne Grund ermögliche – etwas, das normalerweise verboten ist.Aber das Gericht sagte: In Start-ups ist das ausnahmsweise zulässig. Denn es gibt gute Gründe dafür.
Frage: Welche Gründe hat das Gericht angeführt?
Heinemann: Mehrere, sehr praxisnahe:
- Investorenrisiko: Kapitalgeber haben keine klassischen Sicherheiten. Sie müssen sicherstellen, dass die Gründer an Bord bleiben.
- Gründerpflicht: Gründer sind nicht nur Anteilseigner, sondern das operative Herz des Unternehmens – ihre Mitarbeit ist Teil des Investments.
- Bewährungsphase: Nach dem Einstieg von Investoren ist oft unklar, ob das Gründerteam dauerhaft harmoniert. Eine Vesting-Klausel schafft hier Flexibilität.
- Gleichbehandlung: Die Regel galt für alle Gründer, nicht nur für den Kläger.
Das Gericht verglich das mit Fällen, in denen auch der Bundesgerichtshof Hinauskündigungsklauseln akzeptiert hat – etwa bei Probezeiten in Arztpraxen oder bei Mitarbeiterbeteiligungen.
Frage: Was passierte denn konkret in diesem Fall?
Heinemann: Der Kläger wurde kurz nach Beginn der Vesting-Periode freigestellt. Laut Vertrag war das ein sogenanntes „Leaver-Event“. Dadurch durften die Mitgründer seine Anteile übernehmen. Sie nutzten diese Option – und zahlten ihm den Nominalwert von 800 Euro. Das war alles.
Frage: Das klingt nach einem enormen Verlust. Hat das Gericht das nicht als unfair bewertet?
Heinemann: Das Gericht hat klar gesagt: Fairness ist kein Wirksamkeitskriterium.
Selbst wenn die Abfindung unangemessen niedrig erscheint, bleibt die Regel gültig. Man könnte höchstens die Höhe nachträglich gerichtlich anpassen – aber der Anteilverlust an sich bleibt bestehen.
Frage: Gab es denn formale Fehler, die dem Gründer hätten helfen können?
Heinemann: Nein. Die Option wurde ordnungsgemäß ausgeübt. Eine einfache E-Mail genügte, der notarielle Kaufvertrag wurde korrekt beurkundet. Auch kleine Unstimmigkeiten – etwa, ob das Schreiben per Einschreiben oder Kurier hätte erfolgen müssen – waren rechtlich unerheblich.
Frage: Was bedeutet dieses Urteil nun für andere Gründer?
Heinemann: Es ist ein deutliches Warnsignal. Gründer sollten wissen:
- Vesting-Klauseln sind zulässig, besonders nach dem Einstieg von Investoren.
- Investoreninteressen wiegen schwer – wer Kapital will, muss oft Sicherheiten geben.
- Verträge gelten, auch wenn sie im Nachhinein ungerecht wirken.
- Die Abfindungshöhe ist zweitrangig; eine zu niedrige Summe macht den Vertrag nicht unwirksam.
- Und vor allem: Wer früh ausscheidet, kann alles verlieren.
Frage: Ihr Fazit?
Heinemann: Gründer müssen verstehen, dass sie nicht nur Unternehmer, sondern auch Vertragspartner sind. Was im Shareholders’ Agreement steht, kann über den Verbleib ihrer Anteile entscheiden. Wer unterschreibt, sollte also wissen, worauf er sich einlässt – und sich rechtzeitig beraten lassen.

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Hans-Peter Heinemann
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