Dr. Hille Heinemann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB

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Juli 2024

Neufassung der Vertikal-GVO für den Vertrieb

Änderungen im Vertriebskartellrecht

Ausnahmen vom Kartellverbot durch Gruppenfreistellungsverordnung (GVO)

Ein Grundprinzip der Europäischen Verträge zur Europäischen Union ist:
Die Freiheit des Wettbewerbs. Der freie Wettbewerb darf nach Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Jede Verhaltensweise ist daher verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder die Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass diese Grundregel sich nicht ohne Ausnahme durchhalten lässt. Deswegen ist die EU-Kommission ermächtigt, durch eine sogenannte Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) Befreiungen vom grundsätzlichen Kartellverbot in einer vertikalen Vertriebskette vorzusehen. Das Kartellverbot sagt nämlich nicht nur, dass Mitbewerber untereinander etwa keine Preisabsprachen treffen dürfen, sondern sieht auch in einer vertikalen Rangordnung einer nachgelagerten Vertriebskette das Verbot vor, etwa keine Preise festzuschreiben. Welche das sind und welche Ausnahmen durch die EU-VO 2022/720 dennoch möglich sind, soll der folgende Beitrag zeigen.

Grundprinzipien der GVO

Zunächst die Grundprinzipien: Um die wettbewerbliche Relevanz von Marktverhältnissen bei der Befreiung vom Verbot der Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen, kann eine Freistellung davon nur erfolgen, wenn der Marktanteil des Anbieters und der Marktanteil des Abnehmers auf dem relevanten Markt (z.B. Handel mit Kfz-Ersatzteilen) nicht mehr als 30 % beträgt und andererseits ein bestimmtes Wettbewerbsverhalten kein Verstoß gegen sogenannte Kernbeschränkungen darstellt. Denn Kernbeschränkungen sind nicht vom Verbot der Wettbewerbsbeschränkungen befreit.

Beispiele für Kernbeschränkungen und die GVO: Verbot der Preisvorgaben

Ein vorrangiges Beispiel dafür, dass die Freistellungsverordnung nicht gilt, ist eine Preisbindung im Vertikalverhältnis, also die Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, seinen Verkaufspreis selbst festzusetzen. Das bezieht sich auch auf die Festlegung von Mindestpreisen und Mindesterwerbspreisen. Wird also einem Abnehmer in der Vertikal-Lieferkette untersagt, Preise unterhalb eines vom Anbieter vorgegebenen Preises zu bewerben, so ist das unzulässig. Demgegenüber können allerdings Höchstverkaufspreise angesetzt werden sowie bei kurzfristigen Werbeaktionen z.B. zur Produkteinführung Preise vorgegeben werden. Der Hersteller von Waren darf aber auch nicht auf sonstige Art und Weise Druck auf den Abnehmer ausüben, nur bestimmte Preise an die Endkunden weiterzugeben.

Plattformverbote und die GVO: Je nach Einzelfall unzulässig

Wenn der Hersteller seinem Abnehmer vorschreibt, die Waren z.B. nicht bei Amazon oder eBay zu vertreiben, ist dies nicht per se unzulässig. Ein generelles Verbot aber, Waren nicht über Online-Vertriebsplattformen vertreiben zu dürfen, wäre ein Verstoß gegen eine Kernbeschränkung und somit unzulässig. Das gilt insbesondere dann, wenn z.B. der Anbieter seinen eigenen Online-Shop betreibt oder die Ware des Herstellers zumindest online bewirbt. Würde man dies dem Abnehmer verbieten, wäre eine effektive Nutzung des Internets für den Vertrieb von Vertragswaren in nicht zulässiger Weise beschränkt.

Doppelpreissysteme und die GVO im selektiven Vertriebssystem

Ein selektives Vertriebssystem zeichnet sich dadurch aus, dass der Hersteller seine Waren an lediglich ausgewählte Händler veräußert, die anhand festgelegter Merkmale ausgewählt wurden. Diese werden dann verpflichtet, die Waren auch nicht an solche Händler zu verkaufen die nicht zum Vertrieb durch den Hersteller zugelassen sind. In einem solchen Vertriebssystem war es früher verboten, unterschiedliche Preise für den Onlinehandel und für den stationären Handel vorzusehen. Wenn unterschiedliche Preise für Abnehmer gelten, deren Höhe davon abhängig ist, ob die Waren online oder in einem stationären Ladengeschäft vertrieben werden, so ist dies nicht mehr eine Wettbewerbsbeschränkung. Hier gilt jedoch die Einschränkung: Es darf der Online-Vertrieb durch die unterschiedlichen Preisvorgaben für den Händler nicht komplett untragbar werden.

Im selektiven Vertriebssystem gilt zudem die weitere Neuerung, dass der Hersteller seinen Händlern gegenüber Qualitätsanforderungen bezüglich des Produktvertriebs, z.B. in Bezug auf die Mindestgröße des Ladengeschäfts, die dortige Ausstattung und Beleuchtung oder des Erscheinungsbildes grundsätzlich vorschreiben kann. Dabei mussten die Qualitätsvorgaben bislang im Bereich des Online-Vertriebs mit den Vorgaben für den stationären Vertrieb gleichwertig sein. Mit der Neufassung der GVO ist das Recht des Herstellers, Vorgaben hinsichtlich der Online-Plattform zu machen, gelockert worden. Somit sind z.B. Vorgaben zur Errichtung und zum Betrieb eines Online-Helpdesks für den Kundendienst, die Verpflichtung, Rücksendekosten zu übernehmen oder die Vorgabe, ein sicheres Zahlungssystem zu verwenden, zulässig.

Veränderungen durch die GVO im Alleinvertriebssystem

Wesentliches Merkmal eines Alleinvertriebssystems ist es, dass der Händler einen Gebiets- oder Kundenschutz erhält und somit vor dem Wettbewerb durch andere Händler geschützt ist. Das soll den Alleinvertriebshändler dazu motivieren, sein Gebiet besonders intensiv zu bearbeiten. Mit der neuen Vertikal-GVO ist nun geregelt, dass ein Hersteller im Rahmen eines Alleinvertriebssystems bis zu fünf Händlern und sich selbst ein bestimmtes Vertriebsgebiet oder eine Kundengruppe exklusiv zuweisen kann und andere Abnehmer vom Vertrieb ausschließen darf. Das galt auch schon in der Vergangenheit, nicht jedoch für den sogenannten passiven Vertrieb. Dieses Verhalten des Herstellers ist nun auch im passiven Vertrieb zulässig.

Was ist der Unterschied zwischen aktivem und passivem Vertrieb?

Der passive Vertrieb zeichnet sich dadurch aus, dass Kunden unaufgefordert auf den Händler zukommen und Waren erwerben, ohne dass Sie gezielt angesprochen worden wären. Der aktive Vertrieb bedeutet die gezielte Ansprache von Kunden durch E-Mails, Anrufe oder ge

Informationsaustausch im Dualen Vertrieb

Von dualem Vertrieb spricht man, wenn ein Hersteller zwar über Händler seine Produkte an Endkunden verkauft. Ihm steht es allerdings völlig frei, auch selbst die eigenen Produkte zu vertreiben. Die zwangsläufige Folge ist: Der Hersteller steht selbst im Wettbewerb mit seinen Händlern. Dies kann zu kartellrechtlichen Problemen führen mit Blick auf den Informationsfluss zwischen dem Hersteller als Hersteller, dem Hersteller als Händler und den weiteren Händlern. Betroffen sind dabei Absatzdaten und die Preis- und Sortimentsgestaltung sowohl auf Hersteller- als auch auf Händlerseite. Ein solcher Informationsaustausch wäre grundsätzlich kartellrechtlich problematisch.

Einzelfallbezogen soll jedoch der Informationsaustausch über technische Informationen, Verkaufspreise, Umsetzung von den Preisempfehlungen, Daten über Kundenkäufe und Kunden-Feedback sowie marketingbezogene Informationen zulässig sein. Unzulässig dürfte weiterhin der Austausch von auf den Kunden bezogene spezifische Verkaufsdaten, Daten über den Wert und das Volumen der Verkäufer pro Kunde und sonstige Informationen, die zur Identifizierung des Kunden geeignet sind, sein.

Sie interessieren sich für die Details der Vertikal-GVO oder haben offene Fragen zum Thema Vertikal-GVO oder allgemein zum Vertriebskartellrecht? Wir beraten Sie gerne!

Neufassung der Vertikal-GVO für den Vertrieb

Ihr Ansprechpartner

Hans-Peter Heinemann

Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Fachanwalt für
Handels- und Gesellschaftsrecht | Compliance Officer (Univ.) |
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