Dr. Hille Heinemann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
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Mai 2020
EuGH ermöglicht Widerrufsjoker für Millionen deutscher Darlehensverträge
EuGH v. 26.03.2020 – AZ C-66/19
Mit wegweisendem Urteil vom 26.03.2020 kippt der Europäische Gerichtshof den Kaskadenverweis in der Widerrufsbelehrung gebräuchlicher Kreditverträgen in Deutschland und eröffnet so ein Widerrufsrecht für Millionen deutscher Darlehensverträge:
I. Sachverhalt
Anlass der Entscheidung des EuGH war der vor dem Landgericht Saarbrücken anhängige Rechtsstreit zwischen dem Verbraucher JC und der beklagten Kreissparkasse Saarlouis. JC hatte im Jahr 2012 bei der Sparkasse einen grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensvertrag über 100.000 € mit einer Laufzeit bis zum 30.11.2021 abgeschlossen. Unter Ziff. 14 des Darlehensvertrags war der JC über sein Widerrufsrecht wie folgt belehrt worden:
„Widerrufsrecht
Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“
(Hervorhebungen durch d. Verf.)
Mit Schreiben vom 30.01.2016 erklärte JC gegenüber der Sparkasse den Widerruf seiner auf den Darlehensvertrag bezogenen Willenserklärung. Im Rahmen der sich anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung berief sich die Sparkasse auf die Erteilung einer ordnungsgemäßen Widerrufserklärung. Die Ausübung des Widerrufsrechts am 30.01.2016 durch JC sei folglich verfristet.
II. Rechtsausführungen
Das LG Saarbrücken legte den Rechtsstreit sodann vor dem Hintergrund der Auslegung des hier relevanten Art. 10 Abs. 2 p) der Richtlinie 2008/48/EG dem EuGH vor. Hiernach ist im Kreditvertrag in klarer und prägnanter Form das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts anzugeben. Zunächst bat das LG Saarbrücken um Hinweis, ob es durch Art. 10 Abs. 2 p) RL 2008/48/EG geboten sei, dass die Modalitäten zur Berechnung der Widerrufsfrist in klarer und prägnanter Form im Kreditvertrag darzustellen. Des Weiteren. forderte das LG das höchste europäische Gericht zur Stellungnahme auf, ob Art. 10 Abs. 2 p) RL 2008/48/EG dahingehend zu verstehen sei, dass er einer Bezugnahme auf § 492 Abs. 2 BGB in der Widerrufsbelehrung des Darlehensnehmers entgegenstehe. Denn § 492 Abs. 2 BGB benennt die Modalitäten zur Ausübung des Widerrufsrechts nicht selbst, sondern verweist in seiner aktuellen Fassung seinerseits lediglich auf die Vorschriften nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (sog. Kaskadenverweis).
Der EuGH pflichtete dem LG Saarbrücken zum einen darin bei, dass es durch die einschlägigen Richtlinienbestimmung geboten ist, dass der jeweilige Darlehensvertrag klar und deutlich die Modalitäten zur Berechnung der Widerrufsfrist benennt. Zum anderen stellte der EuGH fest, dass es mit geltendem EU-Recht nicht in Einklang zu bringen ist, wenn der Kreditvertrag die in Art. 10 Abs. 2 p) RL 2008/48/EG genannten Pflichtangaben nicht selbst enthält, sondern diesbezüglich auf eine nationale Vorschrift verweist, die ihrerseits auf weitere Rechtsvorschriften Bezug nimmt.
III. Konsequenzen für betroffene Verbraucher
Der sog. Kaskadenverweis befindet sich in nahezu sämtlichen Darlehensverträgen, die zwischen dem 11.06.2010 und dem 20.03.2016 abgeschlossen wurden. Da die Urteile des EuGH grundsätzlich bindend für sämtliche Institutionen der Union wie auch für die Mitgliedstaaten sind, wird die zukünftige Rechtsprechung deutscher Gerichte die Vorgaben aus Luxemburg bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Ob betroffenen Verbrauchern ein Widerrufsrecht zusteht, hängt von weiteren rechtlichen Erwägungen ab, die wir gerne im Einzelfall für Sie überprüfen.